Wien, 12.05.1999
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wegen: § 126a StGB
In umseits rubrizierter Rechtssache ist dem Beschuldigten die Ladung für den 25.05.1999 zur Einvernahme durch die Wirtschaftspolizei im Dienste der Strafjustiz zugegangen. Da es sich bei den gegenständlichen Vorwürfen um Sachverhalten handelt, die technisches Detailwissen erfordern, erstattet der Beschuldigte nachstehende
"Usenet" ist ein weltweites Diskussionsnetz mit tausenden Gruppen ("Newsgroups", ähnlich schwarzen Brettern) zu verschiedendsten Themenbereichen. Nachrichten ("Postings", "Articles"), die in eine Newsgroup gestellt ("gepostet") werden, werden von Server zu Server weiterverteilt und können weltweit gelesen werden.
Usenet besteht aus "Newsservern", also Computern, die Postings von ihren Benutzern und benachbarten Newsservern erhalten und diese wiederum an ihre Nachbarn weitergeben; daher hält jeder Newsserver den kompletten Bestand an Postings eine Zeitlang lokal gespeichert.
Newsserver werden normalerweise von Internet-Providern, Universitäten oder Firmen betrieben, zum einen zur Benutzung für die eigenen Kunden bzw. Mitarbeiter, zum anderen oft auch, um mit anderen Newsservern Postings auszutauschen. Einige Newsserver, so wie meiner, werden auch von Privatpersonen als Hobby betrieben.
Der Austausch von Artikeln geschieht überwiegend aufgrund informeller Vereinbarungen zwischen den beteiligten Newsserver-Betreibern, es ist jedoch kein Newsserver gezwungen, einen ihm angebotenen Artikel auch anzunehmen.
Neben den "normalen" Postings gibt es im Usenet noch "Steuernachrichten" ("Control Messages"), die "Verwaltungsfunktionen" abdecken -- so gibt es etwa Nachrichten zum Anlegen ("Newsgroup") und Löschen ("rmgroup") von Newsgroups und zum Löschen von Postings ("Cancel").
"Cancel"-Steuernachrichten sind ursprünglich dafür gedacht gewesen, daß ein Benutzer ein eigenes Posting wieder löschen kann, nachdem es auf die Newsserver verteilt wurde; technisch ist es jedoch auch für Dritte einfach möglich, für jedes beliebige Posting eine solche Cancel-Nachricht zu erstellen. In bestimmten Ausnahmefällen - Binaries sind einer davon - wird dies auch getan und allgemein akzeptiert.
Newsgroup-Namen bestehen aus durch Punkte getrennten Bestandteilen und bilden eine Baumstruktur. Zusammengehörende Gruppen auf der höchsten Ebene ("Hierarchien") tragen den gleichen Namensbestandteil bis zum ersten Punkt; So gibt es z.B. die Hierarchie "at." für Österreich (nach dem ISO-laendercode), "comp." als internationale Hierarchie für Computer-Themen, etc. Unter "big8" versteht man die "großen" internationalen (englischsprachigen) Hierarchien:
comp -- Computerthemen
humanities -- die "schönen Künste"
news -- Usenet-bezogene Gruppen
rec -- "Recreation", Freizeit-Themen
sci -- Wissenschaft
soc -- Soziale/gesellschaftliche Themen
talk -- "Plaudereien"
misc -- Verschiedenes
Usenet ist ein "selbstverwaltetes" Medium, in dem die Benutzer über Dinge wie die Einrichtung neuer Gruppen, die Entfernung obsoleter Gruppen oder allgemeingültige Verhaltensregeln ("Nettiquette") diskutieren und Entscheidungen durch Abstimmung treffen (diese Diskussionen und Abstimmungen finden für die "at."-Hierarchie in der Newsgroup "at.usenet" statt). "Wahlberechtigt" sind dabei alle Usenet-Benutzer. Wird eine neue Gruppe beschlossen, so sendet eine für diese Aufgabe gewählte Person eine "newgroup"-Steuernachricht aus; diese Steuernachricht kann von den Betreibern der Newsserver (durch entsprechende Konfiguration ihrer Software) akzeptiert werden, muß aber nicht -- die Verwaltung von Usenet basiert auf einem historisch gewachsenen Konsens über "korrektes Vorgehen", es gibt keine rechtliche, vertragliche oder technische Handhabe, die Betreiber der Newsserver dazu zu zwingen, die Ergebnisse von Abstimmungen zu befolgen.
Ein "Cancel-Bot" ist ein Programm, das laufend alle auf einem Newsserver eintreffenden Postings untersucht und aufgrund bestimmter Kriterien (in meinem Fall, wenn es sich um Binary-Postings handelt) automatisch "Cancel"-Nachrichten für Postings erzeugt, die gegen allgemein akzeptierte, formale Kriterien verstoßen.
Als "Binary" wird ein Posting bezeichnet, dessen Inhalt nicht direkt lesbarer Text ("Plain Text" bzw. "ASCII") ist, sondern das als Text verschlüsselt beliebige Daten enthält, etwa Bilder, Musik, oder auch Text in einem Format, das nur mit speziellen Programmen (etwa Textverarbeitungen) dargestellt werden kann. Binaries sind üblicherweise weitaus größer als "normale" Text-Nachrichten. (Die Unterscheidung zwischen "Plain Text" und besonderen Textverarbeitungs-Dateien ist wichtig, weil Usenet mit den verschiedensten Computern benutzt wird und man sich daher auf ein allgemeingültiges Format einigen muß).
Der Grund für diese Verschlüsselung liegt darin, daß im Usenet Binärdaten (im Gegensatz zu "Plain Text") problematisch zu übertragen sind, Usenet wurde eben als Textmedium konzipiert.
Der Amerikaner Richard E. Depew betreibt seit Dezember 1995 einen Cancel-Bot, der für Binaries in den "big8"-Gruppen "Cancel"-Nachrichten generiert. Diese Steuernachrichten enthalten neben den technisch notwendigen Daten noch weitere Angaben, die sie einerseits als "Fremdcancel" ausweisen und Aufschluß über ihren Ersteller geben und es andererseits den Betreibern von Newsservern erlauben, selektiv diese "Bincancel"-Nachrichten nicht auszuführen, ohne andere Cancels auszuschließen.
Binaries in Text-Gruppen bringen zwei Probleme mit sich:
Am 13. November 1998 wurde das Ergebnis einer Abstimmung ("Strawpoll") in at.usenet bekanntgegeben, wonach von 110 abgegebenen Stimmen 101 für die Durchführung von Bincancels in der "at."-Hierarchie waren.
Der Cancel-Bot generiert für jedes als Binary erkannte Posting in der "at."-Hierarchie:
-- Eine "Cancel"-Steuernachricht und
-- Einen "Cancel-Report", d.h. einen Bericht über das Erstellen der "Cancel"-Nachricht, der in die dafür vorgesehene Newsgroup"at.usenet.cancel-reports" gesendet wird.
Die generierte Steuernachricht enthält die selben zusätzlichen Angaben wie Richard E. Depews "Bincancel"-Nachrichten, erlaubt es also Newsserver-Betreibern, ihre Software so zu konfigurieren, daß sie nicht ausgeführt werden. Damit wird auch erreicht, daß Newsserver, auf denen vorher schon von Depew und anderen erstellte "Bincancel"-Nachrichten nicht ausgeführt wurden, auch meine Bincancels nicht akzeptieren.
Darüber hinaus erfolgt die Löschung des Postings nicht durch die Versendung des "Bincancels" selbst, sondern erfordert eine zusätzliche Konfiguration des News-Servers des jeweiligen Betreibers, der seinen Rechner dahingehend zu programmieren hat, ob Fremdcancels akzeptiert werden. Wenn derartige Fremdcancels akzeptiert werden, gibt der Betreiber des News-Servers zu erkennen, daß er mit der Durchführung von Fremdcancels einverstanden ist. Mit der entsprechenden Konfiguration in Bezug auf Fremdcancels gibt der Betreiber des News-Servers seine Einwilligung, daß auch Dritte auf seinem Rechner Löschungen durchführen dürfen, womit wiederum das Tatbild des § 126a StGB nicht erfüllt ist, da die Versender von Fremdcancels in diesen Fällen zur Verfügung über die Daten (Löschung) alleine berechtigt sind. In Eventu wird vorgebracht, daß für den Fall der Annahme der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 126 a StGB es an der subjektiven Tatseite fehlt. Der Beschuldigte konnte davon ausgehen, daß Betreiber, die ihre Newsserver dahingehend konfiguriert haben, daß Fremdcancels akzeptiert werden, Dritten die Erlaubnis geben, über die in ihrem Newsserver gespeicherten Daten alleine zu verfügen. Der Beschuldigte hatte nicht die Absicht, Daten, über die er nicht oder nicht allein verfügen dürfte, zu löschen.
Weiters wird dargelegt, das selbst im Falle der Annahme des Vorliegens der subjektiven Tatseite ein Rechtfertigungsgrund vorliegt: Das Löschen von Bincancels dient der Geschwindigkeit des Netzes und der Kostenersparnis der einzelnen Nutzer des Usenet. Nutzer, die Binärdateien ansehen wollen, können sich diese direkt über E-Mail zusenden. Auf eine derartige direkte E-Mail-Sendung haben Fremdcancels selbstverständlich keinerlei Einfluß.
Letztlich mangelt es der Handlung an der Strafwürdigkeit im Sinn des § 42 StGB. Die Schuld des Täters ist gering, die Tat hat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen, da die Wiederherstellung der Datei durch neuerliches Posting der auf dem Rechner des Absenders gespeicherten Message einfach wiederherstellbar ist. Die Datei ist nicht endgültig verloren, sodaß das Ausmaß des Schadens praktisch Null ist (vergleiche Foregger/Senini, Anmerkung III zu § 126 a StGB).
http://www.usenet.at/ -- informationen ueber die at.*-hierarchie
6. Aus all diesen Gründen wird gestellt der
Wien, am 20.05.1999
Christian Mock